Différences entre les versions de « Victor Hartmann »
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''Victor Hartmann ist eines der drei „Euthanasie“-Opfer aus dem Elsass, deren Weg durch die Institutionen mit der Aufnahme in der Psychiatrischen Klinik des Straßburger Bürgerspitals 1941 ihren Ausgangspunkt genommen hatte und deren Identität durch die Arbeit der Kommission identifiziert werden konnte. Nach der vorangegangenen völkerrechtswidrigen Annexion des Elsass im November 1940 wurden auch die psychiatrischen Versorgungsstrukturen reorganisiert. Die Klinik wurde zunächst von dem Elsässer Charles Buhecker kommissarisch geleitet [Link zu Wiki-Bio]. Zum 1. April 1941 wurden alle Kliniken des Bürgerspitals offiziell der Verwaltung des Chefs der Zivilverwaltung Elsass unterstellt,€€€AVES, 7 AH 008, n. pag. [fot. 79]€€€ und die „Reichsuniversität“ Straßburg am 23. November 1941 inauguriert. Auf den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie wurde August Bostroem [Link zu Wiki-Bio] berufe, der faktisch zum Wintersemester 1942/43 vor Ort war.€€€Reichsuniversität Straßburg. Personal- und Vorlesungsverzeichnis. Wintersemester 1942/43. Heitz&Co, Strassburg, 1943, S. 37.€€€ Zur Versorgung chronisch kranker Psychiatriepatient*innen verblieben nach der Eingliederung ins Gau Baden-Elsass die zwei in der Straßburger Peripherie gelegenen Heil-und Pflegeanstalten Stephansfeld und Hördt. Rund 15 Prozent der in die Psychiatrische Klinik der RUS aufgenommenen Patient*innen wurden in den Jahren 1941-1944 in die Anstalt Stephansfeld verlegt.€€€Münch, Lea: Von Straßburg nach Hadamar. NS-Psychiatrie und Patient*innenschicksale im Elsass. In: Bonah/Schmaltz/Weindling: RUS-Sammelband.€€€ Victor Hartmann wurde im Winter 1944 in der Anstalt Hadamar im Rahmen der „dezentralen Euthanasie“ ermordet. Er war 34 Jahre alt.'' | ''Victor Hartmann ist eines der drei „Euthanasie“-Opfer aus dem Elsass, deren Weg durch die Institutionen mit der Aufnahme in der Psychiatrischen Klinik des Straßburger Bürgerspitals 1941 ihren Ausgangspunkt genommen hatte und deren Identität durch die Arbeit der Kommission identifiziert werden konnte. Nach der vorangegangenen völkerrechtswidrigen Annexion des Elsass im November 1940 wurden auch die psychiatrischen Versorgungsstrukturen reorganisiert. Die Klinik wurde zunächst von dem Elsässer Charles Buhecker kommissarisch geleitet [Link zu Wiki-Bio]. Zum 1. April 1941 wurden alle Kliniken des Bürgerspitals offiziell der Verwaltung des Chefs der Zivilverwaltung Elsass unterstellt,€€€AVES, 7 AH 008, n. pag. [fot. 79]€€€ und die „Reichsuniversität“ Straßburg am 23. November 1941 inauguriert. Auf den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie wurde August Bostroem [Link zu Wiki-Bio] berufe, der faktisch zum Wintersemester 1942/43 vor Ort war.€€€Reichsuniversität Straßburg. Personal- und Vorlesungsverzeichnis. Wintersemester 1942/43. Heitz&Co, Strassburg, 1943, S. 37.€€€ Zur Versorgung chronisch kranker Psychiatriepatient*innen verblieben nach der Eingliederung ins Gau Baden-Elsass die zwei in der Straßburger Peripherie gelegenen Heil-und Pflegeanstalten Stephansfeld und Hördt. Rund 15 Prozent der in die Psychiatrische Klinik der RUS aufgenommenen Patient*innen wurden in den Jahren 1941-1944 in die Anstalt Stephansfeld verlegt.€€€Münch, Lea: Von Straßburg nach Hadamar. NS-Psychiatrie und Patient*innenschicksale im Elsass. In: Bonah/Schmaltz/Weindling: RUS-Sammelband.€€€ Victor Hartmann wurde im Winter 1944 in der Anstalt Hadamar im Rahmen der „dezentralen Euthanasie“ ermordet. Er war 34 Jahre alt.'' | ||
|Contexte_de=Victor Hartmann wurde am 13. August 1909 als Sohn des Schreiners Charles Hartmann und seiner Frau | |Contexte_de=Victor Hartmann wurde am 13. August 1909 als Sohn des Schreiners Charles Hartmann und seiner Frau Amélie geborene Demoulin als zweites von vierzehn Kindern geboren.€€€Acte de naissance de Victor Hartmann, Acte n°10/1909, Archives départementales du Bas-Rhin, État civil de Griesheim-près-Molsheim, 4E171/17€€€ Die Familie wohnte wahrscheinlich im mittelelsässischen Dorf Griesheim-près-Molsheim. Victor Hartmann übte verschiedene Berufe aus – zwischenzeitlich war er als Heizer tätig und später arbeitete er als Hoteldiener. In den Monaten April und Mai 1940 diente er im französischen Heer.€€€Zeugnis der Ortspolizeibehörde für die Aufnahme in eine öffentliche oder private Irrenanstalt, ohne Unterschrift und undatiert, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Am 21. Juli 1934 heiratete er in Strasbourg Elise Marie, geborene Kientzi.€€€Heiratsurkunde Standesamt Strassburg Nr. 1019/1934, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Das Paar zog nach Strasbourg, wo am 30. März 1935 die gemeinsame Tochter Marie-Louise geboren wurde. Ungefähr ein Jahr später, am 12. April 1936, folgte die Geburt des Sohnes Jean-Pierre.€€€In den unter deutscher Okkupation geführten Krankenakten werden die Namen der Kinder mit Marie Luise und Johann Peter angegeben.€€€ Zum Zeitpunkt des Auftretens seiner psychiatrischen Erkrankung war Victor Hartmann bereits verwitwet. Seine Frau war am 13. Februar 1940 an Lungentuberkulose verstorben. Wahrscheinlich wurde sie mit den anderen Patient*innen bei der Evakuierung der klinischen Anstalten Strasbourgs in die Dordogne verbracht, da dies als Todesort angegeben ist. Zuletzt wohnte Victor Hartmann in Strasbourg am Place de Ponts Couverts Nummer 2.€€€Zeugnis der Ortspolizeibehörde für die Aufnahme in eine öffentliche oder private Irrenanstalt, ohne Unterschrift und undatiert, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Die Tochter Marie-Louise lebte später im Waisenhaus St. Josef in Straßburg-Meinau.€€€Schreiben des Kassenleiters der Anstalt Stephansfeld vom 6.03.1943 an die Vorsteherin des Waisenhauses St. Josef, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Der Sohn Jean-Pierre wurde in das „Knaben-Erziehungsheim“ Sankt-Karl-Stift in Straßburg-Schiltigheim aufgenommen.€€€Schreiben des Knaben-Erziehungsheim St. Karls-Stift vom 29.03.1943 an den Kassenleiter der Anstalt Stephansfeld, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ | ||
Amélie Hartmann nahm ihren Sohn Victor im Sommer als 1941 als verändert wahr. Er litt hauptsächlich abends unter Angstzuständen, war öfters aufgeregt und äußerte „Die Welt geht unter“. Nach einem gescheiterten Selbstmordversuch, woraus eine Schnittwunde am Hals resultierte, begleitete die Mutter ihren Sohn am 27. Juni 1941 in die Psychiatrische Klinik. Der aufnehmende Arzt [[Frédéric Frey]] fasste knapp seinen Befund zusammen: „oberflächlicher Affekt, spricht zusammenhangslos, verschiedenartige Wahnideen, auditive Sinnestäuschungen“.€€€Anamnese, ADHVS Psychiatrische Krankenakte Hartmann, Viktor Nr. 178 (1941)€€€ Es wurde eine Schizophrenie diagnostiziert. Ein Verlaufseintrag in der Krankengeschichte Mitte Juli beschreibt Victor Hartmann als „ambivalent“ und nennt „dann und wann auftretende Erregungszustände“. Zeitweise verweigerte er die Nahrungsaufnahme. Wiederum einen Monat später war keine Veränderung seines Zustandes aufgetreten.€€€Eintragungen Krankengeschichte ADHVS Psychiatrische Krankenakte Hartmann, Viktor Nr. 178 (1941)€€€ Schließlich wurde Victor Hartmann nach über insgesamt zwei Monaten Klinikaufenthalt am 8. Oktober 1941 „mit Einverständnis der Frau [gemeint ist eher die Mutter?, Amerk. d. Verf.] in die Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld verbracht.€€€Stammdatenblatt, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ | |||
Während des gesamten Aufenthalts dort wurde seitens der Anstaltsärzte wiederholt betont, dass Victor Hartmanns Zustand sich hinsichtlich seiner psychiatrischen Erkrankung nicht grundlegend verändert habe und auch in Zukunft keine Besserung zu erwarten sei, sodass mit einem „dauernden Anstaltsaufenthalt zu rechnen“ sei.€€€Direktor der Anstalt Stephansfeld am 11.01.1943 an das Städtische Jugendamt Strassburg, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Wie sein Alltag in er Anstalt aussah, bleibt weitgehend im Dunkeln. Am 14. Oktober 1942 erreichte die Eltern in Straßburg ein Schreiben aus der Anstalt, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass das Befinden ihres Sohnes „in bedenklicher Weise verschlechtert“ habe und sie ihn jederzeit besuchen könnten.€€€Verwaltender Sekretär der Anstalt Stephansfeld vom 14.10.1943 an Charles („Karl“) Hartmann, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Anlass dazu war eine heftig verlaufende infektiöse Erkrankung, von der er sich Ende des Monats wieder zunehmend erholte. Erst im Frühjahr 1943 findet sich der nächste Eintrag in der Krankengeschichte: „Körperlicher Zustand befriedigend. Völlig dement, autistisch, gleichgültig“. Eine der wenigen Beschreibungen über Victor Hartmanns Leben in der Anstalt neben der Verlaufsdokumentation der genannten somatischen Erkrankung ist lediglich „Bettbehandlung“.€€€Eintragung in Krankengeschichte vom 3.04.1943, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Im September 1943 heißt es knapp: „Unrein. Verschmiert sich.“€€€Eintragung in Krankengeschichte vom 3.04.1943, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Die letzte Bemerkung in Stephansfeld konstatierte am 4. Januar 1944: „Keine Veränderung des körperlichen und psychischen Verhaltens. Dementer, negativistischer Katatoniker. Bettbehandlung.“€€€Eintragung in Krankengeschichte vom 4.01.1944, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Die Krankenakte erweckt den Eindruck, die letzten Lebensjahre seien geprägt von dem Streit der Behörden um die Kostenübernahme für seine beiden Kinder. Vom subjektivem Erleben und empfinden des Victor Hartmanns hingegen ist kein Zeugnis überliefert. | Während des gesamten Aufenthalts dort wurde seitens der Anstaltsärzte wiederholt betont, dass Victor Hartmanns Zustand sich hinsichtlich seiner psychiatrischen Erkrankung nicht grundlegend verändert habe und auch in Zukunft keine Besserung zu erwarten sei, sodass mit einem „dauernden Anstaltsaufenthalt zu rechnen“ sei.€€€Direktor der Anstalt Stephansfeld am 11.01.1943 an das Städtische Jugendamt Strassburg, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Wie sein Alltag in er Anstalt aussah, bleibt weitgehend im Dunkeln. Am 14. Oktober 1942 erreichte die Eltern in Straßburg ein Schreiben aus der Anstalt, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass das Befinden ihres Sohnes „in bedenklicher Weise verschlechtert“ habe und sie ihn jederzeit besuchen könnten.€€€Verwaltender Sekretär der Anstalt Stephansfeld vom 14.10.1943 an Charles („Karl“) Hartmann, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Anlass dazu war eine heftig verlaufende infektiöse Erkrankung, von der er sich Ende des Monats wieder zunehmend erholte. Erst im Frühjahr 1943 findet sich der nächste Eintrag in der Krankengeschichte: „Körperlicher Zustand befriedigend. Völlig dement, autistisch, gleichgültig“. Eine der wenigen Beschreibungen über Victor Hartmanns Leben in der Anstalt neben der Verlaufsdokumentation der genannten somatischen Erkrankung ist lediglich „Bettbehandlung“.€€€Eintragung in Krankengeschichte vom 3.04.1943, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Im September 1943 heißt es knapp: „Unrein. Verschmiert sich.“€€€Eintragung in Krankengeschichte vom 3.04.1943, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Die letzte Bemerkung in Stephansfeld konstatierte am 4. Januar 1944: „Keine Veränderung des körperlichen und psychischen Verhaltens. Dementer, negativistischer Katatoniker. Bettbehandlung.“€€€Eintragung in Krankengeschichte vom 4.01.1944, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Die Krankenakte erweckt den Eindruck, die letzten Lebensjahre seien geprägt von dem Streit der Behörden um die Kostenübernahme für seine beiden Kinder. Vom subjektivem Erleben und empfinden des Victor Hartmanns hingegen ist kein Zeugnis überliefert. |
Version du 27 octobre 2021 à 09:26
Victor Hartmann | |
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Prénom | Victor |
Nom | Hartmann |
Sexe | masculin |
Naissance | 13 août 1909 (Griesheim-près-Molsheim) |
Décès | 19 janvier 1944 (Hadamar) |
Profession du père | Schreiner |
„Die Welt geht unter“
Victor Hartmann (13. August 1909 – 19. Januar 1944)
Victor Hartmann ist eines der drei „Euthanasie“-Opfer aus dem Elsass, deren Weg durch die Institutionen mit der Aufnahme in der Psychiatrischen Klinik des Straßburger Bürgerspitals 1941 ihren Ausgangspunkt genommen hatte und deren Identität durch die Arbeit der Kommission identifiziert werden konnte. Nach der vorangegangenen völkerrechtswidrigen Annexion des Elsass im November 1940 wurden auch die psychiatrischen Versorgungsstrukturen reorganisiert. Die Klinik wurde zunächst von dem Elsässer Charles Buhecker kommissarisch geleitet [Link zu Wiki-Bio]. Zum 1. April 1941 wurden alle Kliniken des Bürgerspitals offiziell der Verwaltung des Chefs der Zivilverwaltung Elsass unterstellt,€€€AVES, 7 AH 008, n. pag. [fot. 79]€€€ und die „Reichsuniversität“ Straßburg am 23. November 1941 inauguriert. Auf den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie wurde August Bostroem [Link zu Wiki-Bio] berufe, der faktisch zum Wintersemester 1942/43 vor Ort war.€€€Reichsuniversität Straßburg. Personal- und Vorlesungsverzeichnis. Wintersemester 1942/43. Heitz&Co, Strassburg, 1943, S. 37.€€€ Zur Versorgung chronisch kranker Psychiatriepatient*innen verblieben nach der Eingliederung ins Gau Baden-Elsass die zwei in der Straßburger Peripherie gelegenen Heil-und Pflegeanstalten Stephansfeld und Hördt. Rund 15 Prozent der in die Psychiatrische Klinik der RUS aufgenommenen Patient*innen wurden in den Jahren 1941-1944 in die Anstalt Stephansfeld verlegt.€€€Münch, Lea: Von Straßburg nach Hadamar. NS-Psychiatrie und Patient*innenschicksale im Elsass. In: Bonah/Schmaltz/Weindling: RUS-Sammelband.€€€ Victor Hartmann wurde im Winter 1944 in der Anstalt Hadamar im Rahmen der „dezentralen Euthanasie“ ermordet. Er war 34 Jahre alt.
Biographie
Victor Hartmann wurde am 13. August 1909 als Sohn des Schreiners Charles Hartmann und seiner Frau Amélie geborene Demoulin als zweites von vierzehn Kindern geboren.€€€Acte de naissance de Victor Hartmann, Acte n°10/1909, Archives départementales du Bas-Rhin, État civil de Griesheim-près-Molsheim, 4E171/17€€€ Die Familie wohnte wahrscheinlich im mittelelsässischen Dorf Griesheim-près-Molsheim. Victor Hartmann übte verschiedene Berufe aus – zwischenzeitlich war er als Heizer tätig und später arbeitete er als Hoteldiener. In den Monaten April und Mai 1940 diente er im französischen Heer.€€€Zeugnis der Ortspolizeibehörde für die Aufnahme in eine öffentliche oder private Irrenanstalt, ohne Unterschrift und undatiert, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Am 21. Juli 1934 heiratete er in Strasbourg Elise Marie, geborene Kientzi.€€€Heiratsurkunde Standesamt Strassburg Nr. 1019/1934, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Das Paar zog nach Strasbourg, wo am 30. März 1935 die gemeinsame Tochter Marie-Louise geboren wurde. Ungefähr ein Jahr später, am 12. April 1936, folgte die Geburt des Sohnes Jean-Pierre.€€€In den unter deutscher Okkupation geführten Krankenakten werden die Namen der Kinder mit Marie Luise und Johann Peter angegeben.€€€ Zum Zeitpunkt des Auftretens seiner psychiatrischen Erkrankung war Victor Hartmann bereits verwitwet. Seine Frau war am 13. Februar 1940 an Lungentuberkulose verstorben. Wahrscheinlich wurde sie mit den anderen Patient*innen bei der Evakuierung der klinischen Anstalten Strasbourgs in die Dordogne verbracht, da dies als Todesort angegeben ist. Zuletzt wohnte Victor Hartmann in Strasbourg am Place de Ponts Couverts Nummer 2.€€€Zeugnis der Ortspolizeibehörde für die Aufnahme in eine öffentliche oder private Irrenanstalt, ohne Unterschrift und undatiert, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Die Tochter Marie-Louise lebte später im Waisenhaus St. Josef in Straßburg-Meinau.€€€Schreiben des Kassenleiters der Anstalt Stephansfeld vom 6.03.1943 an die Vorsteherin des Waisenhauses St. Josef, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Der Sohn Jean-Pierre wurde in das „Knaben-Erziehungsheim“ Sankt-Karl-Stift in Straßburg-Schiltigheim aufgenommen.€€€Schreiben des Knaben-Erziehungsheim St. Karls-Stift vom 29.03.1943 an den Kassenleiter der Anstalt Stephansfeld, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Amélie Hartmann nahm ihren Sohn Victor im Sommer als 1941 als verändert wahr. Er litt hauptsächlich abends unter Angstzuständen, war öfters aufgeregt und äußerte „Die Welt geht unter“. Nach einem gescheiterten Selbstmordversuch, woraus eine Schnittwunde am Hals resultierte, begleitete die Mutter ihren Sohn am 27. Juni 1941 in die Psychiatrische Klinik. Der aufnehmende Arzt Frédéric Frey fasste knapp seinen Befund zusammen: „oberflächlicher Affekt, spricht zusammenhangslos, verschiedenartige Wahnideen, auditive Sinnestäuschungen“.€€€Anamnese, ADHVS Psychiatrische Krankenakte Hartmann, Viktor Nr. 178 (1941)€€€ Es wurde eine Schizophrenie diagnostiziert. Ein Verlaufseintrag in der Krankengeschichte Mitte Juli beschreibt Victor Hartmann als „ambivalent“ und nennt „dann und wann auftretende Erregungszustände“. Zeitweise verweigerte er die Nahrungsaufnahme. Wiederum einen Monat später war keine Veränderung seines Zustandes aufgetreten.€€€Eintragungen Krankengeschichte ADHVS Psychiatrische Krankenakte Hartmann, Viktor Nr. 178 (1941)€€€ Schließlich wurde Victor Hartmann nach über insgesamt zwei Monaten Klinikaufenthalt am 8. Oktober 1941 „mit Einverständnis der Frau [gemeint ist eher die Mutter?, Amerk. d. Verf.] in die Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld verbracht.€€€Stammdatenblatt, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€
Während des gesamten Aufenthalts dort wurde seitens der Anstaltsärzte wiederholt betont, dass Victor Hartmanns Zustand sich hinsichtlich seiner psychiatrischen Erkrankung nicht grundlegend verändert habe und auch in Zukunft keine Besserung zu erwarten sei, sodass mit einem „dauernden Anstaltsaufenthalt zu rechnen“ sei.€€€Direktor der Anstalt Stephansfeld am 11.01.1943 an das Städtische Jugendamt Strassburg, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Wie sein Alltag in er Anstalt aussah, bleibt weitgehend im Dunkeln. Am 14. Oktober 1942 erreichte die Eltern in Straßburg ein Schreiben aus der Anstalt, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass das Befinden ihres Sohnes „in bedenklicher Weise verschlechtert“ habe und sie ihn jederzeit besuchen könnten.€€€Verwaltender Sekretär der Anstalt Stephansfeld vom 14.10.1943 an Charles („Karl“) Hartmann, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Anlass dazu war eine heftig verlaufende infektiöse Erkrankung, von der er sich Ende des Monats wieder zunehmend erholte. Erst im Frühjahr 1943 findet sich der nächste Eintrag in der Krankengeschichte: „Körperlicher Zustand befriedigend. Völlig dement, autistisch, gleichgültig“. Eine der wenigen Beschreibungen über Victor Hartmanns Leben in der Anstalt neben der Verlaufsdokumentation der genannten somatischen Erkrankung ist lediglich „Bettbehandlung“.€€€Eintragung in Krankengeschichte vom 3.04.1943, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Im September 1943 heißt es knapp: „Unrein. Verschmiert sich.“€€€Eintragung in Krankengeschichte vom 3.04.1943, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Die letzte Bemerkung in Stephansfeld konstatierte am 4. Januar 1944: „Keine Veränderung des körperlichen und psychischen Verhaltens. Dementer, negativistischer Katatoniker. Bettbehandlung.“€€€Eintragung in Krankengeschichte vom 4.01.1944, Psychiatrische Krankenakte Heil- und Pflegeanstalt Stephansfeld Nr. 199, in: Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Die Krankenakte erweckt den Eindruck, die letzten Lebensjahre seien geprägt von dem Streit der Behörden um die Kostenübernahme für seine beiden Kinder. Vom subjektivem Erleben und empfinden des Victor Hartmanns hingegen ist kein Zeugnis überliefert.
Gegen Ende des Jahres 1943 war in den elsässischen Heil- und Pflegeanstalten Stephansfeld und Hördt die Vollbelegung erreicht worden und es zeichnete sich Bettenknappheit ab.€€€Heinz Faulstich, Hungersterben in der Psychiatrie 1914-1949 mit einer Topographie der NS-Psychiatrie (Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1998). S. 362.€€€ Daher ordnete der oberste badische Medizinalbeamte, Ludwig Sprauer (1884-1962) an, jeweils 50 Patienten aus den beiden Anstalten nach in die hessische Anstalt Hadamar zu verlegen. Am 5. Januar 1944 wurden die 100 Patienten in einer über 22-stündigen Zugreise nach Hadamar deportiert.€€€Murielle Habay, Geneviève Herberich-Marx, und Freddy Raphaël, „L’identité-stigmate: l’extermination de malades mentaux et d’asociaux alsaciens durant la seconde guerre mondiale“, Revue des sciences sociales de la France de l’Est, Nr. 18 (1991): 38–62. S. 57.€€€ Darunter war auch Victor Hartmann. Am 6. Januar 1944 wurde sein Vater per Telegramm über die Verlegung seines Sohns nach der Anstalt Hadamar informiert – mit dem Hinweis, dass infolge der „schwierigen Verkehrslage“ für Besuche die „besondere Genehmigung der Anstaltsleitung einzuholen“ sei.€€€Schreiben der Anstalt Hadamar vom 6.01.1944 an Charles („Karl“) Hartmann, Psychiatrische Krankenakte, Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Laut der der Urkunde starb Victor Hartmann am 19. Januar 1944 um 1 Uhr 30, wobei als Todesursache „Verfall und Herzschwäche“ angegeben wurde.€€€Sterbeurkunde vom 4.02.1944, Psychiatrische Krankenakte, Archiv des Landeswohlfahrtsarchivs Hessen 12, 1124€€€ Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde ihm an Vorabend eine Überdosis an Schlafmittel verabreicht. Damit wurde Victor Hartmann Opfer der „dezentralen Euthanasie“. Die Todesursache wurde gefälscht, um den Angehörigen einen natürlichen Tod zu suggerieren. Ob seine beiden Kinder jemals die wahren Umstände des Todes ihres Vaters erfuhren, ist ungewiss.
Repères
Localisations
Nationalités
- Allemand (1909 - 1919)
- Français (1919 - 1944)
- Alsacien (1909 - 1944)
Confessions
- Catholique
Publications
Références