Anton Losiak
Anton Losiak | |
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Prénom | Anton |
Nom | Losiak |
Sexe | masculin |
Naissance | 10 mai 1910 (Tymienica (Pologne)) |
Décès | 12 janvier 1944 (Hadamar (Hesse)) |
Biographie
„… da sich Patient mit letzter Kraft wehrte.“ Das Schicksal von Anton Łosiak[1]
Am 7. Januar 1944 wurde an Stanislaw Łosiak, einer von den rund 47.000 „fremdländischen“ Arbeiter*innen, die ins Gau Baden-Elsass gelangt worden waren,[1] in die kleine Ortschaft Ensisheim bei Mülhausen (heute Mulhouse) aus der NS-Tötungsanstalt Hadamar ein Telegramm mit folgendem Wortlaut versendet:
„Sehr geehrter Herr Losiak! Ihr Bruder A n t o n wurde am 6.7.44 in die hiesige Anstalt verlegt. Besuche sind für die Dauer des Krieges unzulässig.“[1]
Fünf Tage später – angeblich um 5 Uhr morgens – war Anton Łosiak bereits tot. Zur Verschleierung des Mordes wurde Darmgrippe bzw. Herzschwäche als Todesursache angeben.[1]
Die beiden Brüder Anton und Stanislaw Łosiak waren aller Wahrscheinlichkeit nach während des Krieges zum „Arbeitseinsatz“ ins Elsass gelangt. Möglicherweise wurden die beiden Brüder auch mit ihren Familien im Zuge der Siedlungspolitik der deutschen Besatzungsmacht mit ihren Familien aus ihrem Heimatdorf vertrieben.[1] Sie wurden in Ensisheim im „Lager 3“ interniert.[1] Genaueres zu den Umständen vor Ort konnte nicht ermittelt werden. Über Anton Łosiaks Leben vor der Deportation ist wenig bekannt.
Er wurde am 13. Mai 1910 als Sohn von Łukasz Łosiak und Wiktoria Jezierska in Tymienica in Polen geboren. Er war dort als Landarbeiter tätig und heiratete Antonina Bolesławska, die am 6. September 1939 verstarb. Das Paar hatte eine gemeinsame Tochter mit dem Namen Halina, die am 24. September 1942 im Alter von 3 Jahren verstarb. Am 22. November 1939 heiratete Anton Łosiak die damals 26-jährige Stanisława Biegańska in seinem Heimatdorf. Am 20. August 1940 wurde die Tochter von Anton und Stanisława Łosiak –Krystyna Łosiak – in Tymienica geboren.[1]
Anton Łosiak erkrankte im Sommer 1943 an einem „akuten schizophrenen, katatonischen Schub“ und wurde zunächst in die Städtischen Krankenanstalten Mülhausen eingeliefert. Bei der Aufnahme war Losiak „arbeitsunfähig“, die Frage nach der Heilbarkeit der Erkrankung wurde zu diesem Zeitpunkt in dem in den Krankenakten üblicherweise vorhandenen Ärztlichen Zeugnis über die Aufnahme in eine öffentliche Irrenanstalt noch mit einem Fragezeichen versehen. Darin wurden die Gründe, die zur Aufnahme führten, folgendermaßen geschildert: „L.[osiak] hat heftige Erregungsanfälle, schreit dabei unaufhörlich immer dasselbe Wort ‚Boje‘[1] und bäumt sich r[h]ythmisch heftig auf. Auf Zuruf beruhigt er sich plötzlich, lächelt. Er gibt auf Fragen sondern wiederholt nur die gestellte Frage (Echolalie). L.[osiak] ist für sich und andere gefährlich. – L.[osiak] ist ein noch junger, athletisch gebauter Mann in gutem Ernährungszustand. Er ist nicht zugänglich und völlig verwirrt. Er spricht unverständliche Worte in polnischer Sprache. Ist motorisch aufgeregt und macht unverständliche, meist r[h]ythmische Gesten. Zeichen einer organischen Krankheit liegen infolge Fehlens jeder neurologischen Symptome nicht vor.“[1] Von Mülhausen aus wurde am 2. Juli 1943 eine Verlegung in die staatliche Heil- und Pflegeanstalt Hoerdt veranlasst. In den ersten beiden Monaten nach seiner dortigen Aufnahme war die Dokumentation des Krankheitsverlaufs und der Behandlung recht detailliert. Eine weiterführende körperliche Untersuchung oder Bestrebungen eine Anamnese zu erheben, sind nicht dokumentiert. Der erste Eintrag in der Krankengeschichte lautete: „Patient ist sehr erregt, tobt, schreit.“[1] Einige Tage später wurde eine Elektroschockbehandlung begonnen. Diese schien zunächst Wirkung zu zeigen: „Pat.[ient] ist viel ruhiger […] ist ausser Bett und zugänglich.“[1] Der Erfolg der neuen somatischen Therapie war nur vorübergehender Natur: „Patient wieder rückfällig. Schreit, tobt, spricht unverständliche Worte, weint, singt, spricht für sich, macht theatralische Gesten.“[1] Dennoch wurde die Elektroschockkur weitergeführt, bis sie am 26. Oktober 1944 nach insgesamt 31 Schocks eingestellt wurde.[1] Wie Anton Łosiak die Behandlung erlebt haben muss, lässt sich hinter dem folgenden Eintrag im Pflegebericht nur erahnen: „Patient ist sehr erregt, gewalttätig, muss mit 5 Pflegern zum Schock gebracht werden. Klettert an der Zellenwand hinauf, versucht den Draht des Gitters zu entfernen.“[1] Neben der Anwendung der Elektrokrampftherapie wurde er mit sedierenden Medikamenten behandelt. Ein auszugsweise erhaltenes Kurvenblatt belegt die tägliche Verabreichung von „2x 10 Tropfen M“. Damit könnte sowohl Morphium oder auch das Beruhigungsmittel Medinal gemeint sein. Laut dem Pflegebericht wurde Anton Łosiak zwischenzeitlich immer wieder isoliert, wenn er vom Personal als „sehr unruhig“ wahrgenommen wurde. Der Alltag in der Anstalt bestand hauptsächlich, soweit wie möglich, aus der Heranziehung der Patient*innen zur Arbeit in Form von Arbeitstherapie.[1] Über Anton Łosiak notierte man dabei: „Patient leistet nichts bei der Aussenarbeit. Kommandiert, allerdings muss sein Benehmen auf dem Umstand zurückgeführt werden, dass er infolge seiner polnischen Sprache nicht verstanden wird.“[1] Einige Tage später „verlangt[e] er wieder zu arbeiten“ und wurde der „Feldgruppe unter Aufsicht“ zugeteilt.[1] Folgt man den bruchstückhaften Eintragungen der Krankengeschichte, so schien sich Anton Łosiaks Gemütszustand nicht grundlegend zu verändern; immer wieder finden sich Einträge wie „Patient weint, jammert, betet.“[1] Ende August 1943 vermerkte man „Patient gibt heute zu erfahren, dass seine Frau und ein Kind von einer Fliegerbombe getötet worden seien.“[1] Einmal wurde der Wunsch nach Kontakt zu seinem wohl einzigen Angehörigen im Elsass festgehalten: „Verlangt seinem Bruder zu schreiben.“[1] Ob er wirklich die Möglichkeit erhielt einen Brief zu verfassen, muss offen bleiben. Von Bedeutung für den Umgang des Personals war die kaum zu überwindende Sprachbarriere, auf die man in der Krankengeschichte immer wieder aufs Neue rekurrierte: „Patient ist ruhiger, zugänglicher, kann aber nicht verstanden werden.“[1] Ein Ereignis am 9. September 1943 wertete das Pflegepersonal als Fluchtversuch, der offenbar misslang: „Patient erkletterte heute urplötzlich einen Baum, lässt sich auf den Ästen an die Umfassungsmauer nieder und besteigt das Dach des Baues M[änner] IV. Brüllt von dort, reisst Dach[ziegel] aus und bedroht schließlich die ihn verfolgenden Pfleger. Tobt und schreit, und kann schliesslich wieder eingebracht werden. – Ins feste Haus verbracht, nachdem eine grosse Zahl Pfleger zur Überbringung notwendig war, da sich Patient mit letzter Kraft wehrte. Tobt und schreit und brüllt in der Zelle, muss mit Gewalt entkleidet werden. –“[1]
Der letzte Eintrag in der Heil- und Pflegeanstalt Hoerdt charakterisierte Anton Łosiak als „unauffällig“.[1] Im Zuge der vom badischen Ministerialdirigenten Ludwig Sprauer angeordneten Verlegung von 100 Männern aus den beiden elsässischen Anstalten wurde er am 5. Januar 1944 in die NS-Tötungsanstalt Hadamar deportiert und dort ermordet.[1] Ein Erlass des Reichsinnenministers vom 6. Mai 1944 sah die planmäßige Ermordung von „unbrauchbar“ gewordenen Zwangsarbeiter*innen vor, verschleiert durch die euphemistische Anordnung zum Abstransport in gesonderte Sammelstellen.[1] Damit war Anton Łosiak einer der rund 600 ausländischen Arbeiter*innen, die von 1942 bis 1945 in Hadamar ermordet wurden.[1] Über seine letzten Lebenstage ist nichts zu erfahren. In Hadamar erfolgte die übliche Dokumentation einer gefälschten Todesursache: „im Zustand dauernder Erregung…. Erkrankt an Darmgrippe. Bruder ist benachrichtigt.“ „12.1.44 Erholt sich nicht mehr. […..] Heute Exitus an Darmgrippe.“[1]
Anton Łosiak erkrankte nach seiner Deportation ins Elsass – weit entfernt und getrennt von seiner Familie. Aufgrund der resultierenden Arbeitsunfähigkeit wurde er zunächst in ein regionales Krankenhaus aufgenommen und nach wenig erfolgreicher Therapie in der Anstalt Hördt schließlich in Hadamar ermordet. Seine Angehörigen in Polen blieben im Ungewissen und sein Bruder im Elsass wurde bewusst getäuscht. Ob seine Ehefrau Stanisława vor ihrem Tod am 23. Mai 1944 noch vom Schicksal ihres Mannes erfuhr, ist unbekannt. Anton Losiaks Tochter Krystyna Łosiak wartete nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vergeblich auf Ihren Vater.[1] Anton Łosiak teilte das Schicksal vieler anderer „Fremdarbeiter“ gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, die für die Aufrechterhaltung der Kriegsmaschinerie nutzlos geworden waren und damit ihr Lebensrecht verwirkt hatten.[1] Neben der Erinnerung an das konkrete Schicksal Anton Łosiaks sollen dabei die selektierenden und anonymisierenden Mechanismen analysiert und die ökonomische Argumentation innerhalb des ärztlichen Handels dezidiert zurückgewiesen werden.
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